Was pensionierte Lehrkräfte so treiben: Lesen für Frank Willim im Moment nicht drin
Vor einem Jahr wurden an der Augustinerschule vier Lehrkräfte in den Ruhestand verabschiedet, die zusammen fast 100 Jahre am traditionsreichen Friedberger Gymnasium unterrichtet hatten. Dass darüber nicht berichtet wurde, ist fast ein Skandal und Grund genug, die nun schon fast als professionell zu bezeichnenden Pensionäre zu besuchen und sie zu fragen, was sie so treiben – und auch ihr Wirken an der Schule nachträglich zu würdigen.
Nachdem mit Dorothe Häußge die einzige Damen den Anfang gemacht hat, geht es nun im zweiten Porträt innerhalb der vierteiligen Mini-Serie mit dem ersten Mann weiter: Frank Willim, Lehrer für Deutsch, Politik und Wirtschaft sowie Philosophie/Ethik, verbrachte 20 Jahre seines aktiven Dienstes an der Frankfurter Anna-Schmidt-Schule, bevor er im Februar 2002 nach Friedberg wechselte, wo er eine fast ebenso lange Zeit unterrichten sollte. Hatte er sich in Frankfurt noch besonders den Bereichen Theater und Musical gewidmet, legte er seinen Schwerpunkt in der Wetterau auf die Organisation des Ganztagesprogramms, das schließlich auch Gegenstand seiner Oberstudienratsstelle werden sollte. Des Weiteren war er Fachsprecher in der Fachkonferenz Ethik und Mitglied im Personalrat sowie im Bauausschuss, und damit mitverantwortlich für die Errichtung des neuen Erweiterungsbaus Mitte der Nullerjahre.
Sein Unterricht galt als sehr anspruchsvoll und von großer Fachlichkeit geprägt, was für ein hohes Ansehen des belesenen Pädagogen in der Schulgemeinde sorgte.
Stichwort Lesen: Dazu bleibt momentan – mit Ausnahme der Tageszeitung – keine Zeit. Das liegt daran, dass Willim und seine Frau Uschi “sich verkleinert” haben: Sie haben ihr Haus einer ihrer beiden Töchter überschrieben und sind in eine Wohnung gezogen. Diese sei zwar groß genug für zwei, aber nicht für alles, was sich innerhalb von Jahrzehnten in einem Haus angesammelt habe. So galt und gilt es, sich von Liebgewonnenem zu trennen, zum Beispiel von Tonbändern mit Familienaufnahmen. Ganze drei Viertel des Bücherbestandes haben den Umzug ins neue Domizil nicht mitgemacht, wurden teilweise verschenkt, Händlern übergeben, verkauft oder gar weggeworfen. Übrig geblieben ist dennoch eine Menge, und Frank Willim hofft auf den Herbst, um sich wieder literarischen Werken zuzuwenden.
Generell ist Langeweile ein Fremdwort für den Pensionär, denn innerhalb relativ kurzer Zeit ist er vierfacher Großvater geworden und lässt sich bereitwillig als Babysitter einspannen.
Aufstehen muss er dafür nicht wie früher um 6 Uhr, etwas, das er rückblickend nicht vermisst. Auch nach Konferenzen sehne er sich nicht zurück, hätte allerdings gerne intensiveren Kontakt zu diversen früheren Kolleginnen und Kollegen, welcher durch Corona weitgehend lahmgelegt worden sei. Ferner denke er daran, was wohl aus seinen ehemaligen Schülerinnen und Schülern geworden sei .
Die Zeit, die Willim im “Unruhestand” für sich selbst habe, verbringe er zum Teil an den Tasten eines neu erworbenen Digitalpianos, am liebsten so: “Kopfhörer auf – und niemand hört mein Geklimper.” Um innere Ruhe zu finden, habe er auch schon “ein wenig geschrieben; das war aber weitgehend Mist.” Mangels einer Textvorlage kann hier das Gegenteil nicht bewiesen werden.
Wann immer es geht, spielt der begeisterte Anhänger von Eintracht Frankfurt Tennis im Ü65-Team des heimischen TV Nieder-Erlenbach , das in der Gruppenliga Aufstiegsambitionen hegt. Die Fachgespräche mit Kollegen über Fußball fehlen ihm, aber er hat einen Tipp für die SGE, dass sie sich auf der Spielmacherposition verstärken müsse. Außerdem hege er noch Hoffnung, dass die Eintracht das 0:3 aus dem Achtelfinal-Hinspiel gegen den FC Basel wettmachen könne.
Heiko Weber