Gedenken der Deportation Wetterauer Jüdinnen und Juden vor 80 Jahren

In einer Gedenkveranstaltung am 16.9.2022 erinnern sich Schülerinnen und Schüler der Augustinerschule der vor 80 Jahren deportierten Wetterauer Jüdinnen und Juden

Die Aula der Augustinerschule ist bis auf den letzten Platz gefüllt: Etwa 250 Schülerinnen und Schüler, deren Lehrerinnen und Lehrer sowie zahlreiche Gäste wie der Landrat des Wetteraukreises, Jan Weckler, die erste Stadträtin Marion Götz, Vertreterinnen und Vertreter der Gesellschaft für jüdisch-christliche Zusammenarbeit, des Stadtarchivs, des Wetterau-Museums und des Friedberger Geschichtsvereins warten zum Beginn der dritten Unterrichtsstunde gespannt auf die Eröffnung der Gedenkveranstaltung.

Lernende der Klassen 8 bis 10 sowie der Oberstufe hatten sich nach den Sommerferien im Rahmen ihres Geschichtsunterrichtes intensiv mit den Biographien der Friedberger Jüdinnen und Juden auseinandergesetzt, die 1942 von den Nationalsozialisten deportiert worden und in den Konzentrations- und Vernichtungslagern ums Leben gekommen waren.

Die Aula ist wenige Meter von der Altbauturnhalle entfernt, in der seit dem 15. September 1942 die Wetterauer Jüdinnen und Juden ihre letzten Nächte verbringen mussten, bevor sie in den frühen Morgenstunden des 17.9., nur mit einem Koffer für die nötigsten Habseligkeiten ausgestattet, über Darmstadt in die Konzentrationslager Treblinka und Theresienstadt deportiert wurden, um dort planmäßig ermordet zu werden.

Im Zentrum der Gedenkveranstaltung stellen die Schülerinnen und Schüler zwanzig Biographien von Einzelpersonen, Ehepaaren oder Familien vor, mit der Absicht, die Opfer zu würdigen, sie aus der Anonymität herauszulösen und ihnen ein Gesicht zu geben. Die Vorträge veranschaulichen das Leben und Leiden der Opfer, verdeutlichen die individuellen Schicksale und informieren über die historischen Hintergründe. Zahlreiche Koffer, die am Vortag im Zuge eines Fußmarsches von Bad Nauheim über den Friedberger Synagogenplatz von Friedberger Bürgerinnen und Bürger in die Augustinerschule getragen wurden, sind jeweils mit dem Namen einer deportierten jüdischen Mitbürgerin beziehungsweise eines deportierten jüdischen Mitbürgers versehen und werden nach dem Vortrag der jeweiligen Biographie zu Ehren des Opfers geöffnet und mit ausgewählten Gegenständen gefüllt.

Umrahmt wird die Vorstellung der Biographien von zwei Liedern des Schulchors sowie den Grußworten des Schulleiters Dr. Detlef Zschiesche und des Landrates Jan Weckler, die in ihren Ansprachen insbesondere die Bedeutsamkeit des Erinnerns gerade für die junge Generation betonen. Neben der Präsentation der Biographien führen Schülerinnen und Schüler zwei Theaterszenen nach Brechts „Furcht und Elend des Dritten Reichs“ und Sempruns „Die große Reise“ auf, die ebenfalls das Motiv des Koffers in den Vordergrund stellen. Schülerinnen und Schüler einer achten Klasse legen im Rahmen einer Kunstinstallation selbstgemalte Bilder aus, die sich auf den Kurzfilm „Spielzeugland“ beziehen, der ebenfalls das Thema der Deportationen im Nationalsozialismus veranschaulicht. Ein ebenfalls von Lernenden einer achten Klasse vorgetragener Dialog, der das Weiterleben der wenigen überlebenden Kinder des Holocausts thematisiert, schließt sich an die Präsentation der Opferbiographien an. Das Abspielen der ersten Folge des von Schülerinnen und Schülern aufgenommenen Podcasts „Rechtsdrift“ ruft die gegenwärtige Gefahr des Rechtsextremismus in Erinnerung und ermahnt die Zivilgesellschaft, für den Rechtsstaat und die Demokratie einzutreten.

Tief bewegt lauschen die Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Gedenkveranstaltung den Beiträgen auch eine halbe Stunde über das geplante Ende hinaus. Es gelingt den Schülerinnen und Schülern sehr eindringlich aufzuzeigen, was mit Minderheiten geschehen kann, wenn Rechtsstaat und Demokratie beseitigt werden. Die unterschiedlichen Darbietungen rufen auf jeweils ihre eigene Art und Weise mit Nachdruck dazu auf, dem Vergessen entgegenzutreten und sich aktiv für den Schutz der Menschenwürde in der Gegenwart einzusetzen.

Ingo Klein